Die Seele des Tees - Über die Bedeutung der Teezeremonie

Von Akio Tanaka

Dreht man die Teeschale zweimal oder einmal? Es ist eine der meist gestellten Fragen von Ausländern an japanischen Gastgebern bevor man den Tee trinkt.

Ein guter Gastgeber, das heisst derjenige Hausherr der seinem Gast wünscht, eine ruhige, angenehme Zeit mit ihm zu verbringen, würde antworten: Es kommt nicht auf die Anzahl der Umdrehungen an, sondern wie sie die Tasse Tee mit ihm geniessen.

Wenn ich als erster Gast mit ihm zusammen eingeladen wäre, dann würde ich ihm ins Ohr folgendes Flüstern: Schauen Sie diese Schale gut an, denn der Hausherr richtet eine schöne Stelle der Schale zum Gast hin. Eine Teeschale hat viele sehenswerte Stellen Midokoro. Der Hausherr wählt eine Stelle der vielen sehenswerten Stellen der Teeschale aus. Wenn der Hausherr dem Gast die stumme Botschaft übermittelt: Hier ist eine schöne Stelle, bitte betrachten Sie sie mit Genuss, dann antwortet der Gast mit einer stillschweigenden Botschaft: Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, aber ich halte mich zurück, weil ich dieser Schönheit nicht wert bin und bringe so zum Ausdruck, dass ich verstanden habe, was der Hausherr mir mitteilen wollte. Alle folgenden Gäste würden es mir nachmachen und die Vorderseite der Schale ein bisschen drehen, aber mit einem Dankesgefühl.

Wenn aber die Schale mechanisch zweimal gedreht und dann leer getrunken wird, kommt eine solche Kommunikation zwischen Hausherrn und Gast überhaupt nicht zustande.

Gast zu sein und Gastgeber zu sein: Ist eine Eierschale von drinnen oder von draussen zu zerbrechen?

Die erste Regel die wir in einem Teehaus (Chashitsu) halten, verlangt, dass Gast und Teemeister (Gastgeber Teisyu) gegenseitig in dem Gedanken des anderen beiwohnt.

Mein Teemeister (O-ie-Moto) erzählte mir ein Gleichnis einer Vogelgeburt, um die Gesinnung dieser Gegenseitigkeit zu begreifen. Die Mutter klopft die Eierschale von draussen und das Kücken von drinnen. Frage: Wer gibt zuerst Signal wo und wann zu klopfen? So fragte er mich. Keine Ahnung mein Meister. Keiner gibt ein Signal. Beide fangen ohne Wortwechsel gleichzeitig an das Ei an einer Stelle aufzuklopfen, bis die Schale zerbricht. Man nennt diese Haltung Sottaku Doji (gleichzeitig Klopfen von draussen und drinnen,) bemerkte mein Teemeister.

Bei der Durchführung der Teezeremonie denkt der Gastgeber nach was gerade seine Gäste fühlen und denken und umgekehrt ist es genauso.

Eine Teezeremonie dauert normalerweise etwa 4 Stunden, beginnend mit dem Aufbau des Holzkohleofen und dessen Anzündung. Anschliessend wird ein 7 bis 10 gängiges japanisches Essens vom Gastgeber serviert. Danach eine Tasse dicken Tee (Koi-cha) und ebenfalls vom Teisyu (Gastgeber) Anschliessend wird noch eine Tasse dünnen Tee (Usu-cha) serviert.

Die Gäste erahnen und riechen was und wann der Teemeister gerade macht. Wenn zum Beispiel der Gastgeber mit der Speise auf einem Tablett im engen Eingang sichtbar wird, streckt unverzüglich der erste Gast seine Hände zum Tablett hin um ihm zu helfen. Denn ein Teezimmer ist oft kleiner als 7 qm. Deshalb muss das Tablett vom sitzenden Gast und vom stehenden Gastgeber gleichzeitig in die Mitte getragen werden. In dem Moment wo sich unsere Hände berühren, sollte man das Gefühl haben, dass das Gefühl des Dankes wie ein elektrischer Funke durch vier Hände ein und aus geht.

Mein Teemeister lehrte mir einst: Nach einer gelungenen Teezeremonie, in der du als Hausherr fungiert hast, stehe am Haustor. Denn viele Gäste, die sich schon verabschiedet haben und das Haus verlassen, blicken trotzdem an der Strassenecke unbeabsichtigt zurück und machen noch einmal eine Verbeugung und da musst Du als Hausherr die Dankbarkeit entgegennehmen.

Von der Teezeremonie zur Tafelkultur

Wenn man die Teezeremonie als etwas ansieht, was nicht mehr ist als die Darbietung einer einzigartigen althergebrachten und drüber hinaus recht komplizierten japanischen Etikette, dann übersieht man dabei völlig die latente Kraft, die die Teezeremonie als eine neue Gattung der Welt-Tafelkultur werden könnte.

Erstens, es muss nicht unbedingt japanisch sein. Ich hatte während meiner Zeit als Japanischer Generalkonsul in Frankfurt in meinem Apfelgarten eine Teezeremonie durchgeführt. Es war ein schöner alter Garten mit alten Apfelbäumen und einer grossen Wiese im Frühling. Man kann zum Beispiel auch chinesischen Tee nach einem 3gängigen Menü aus Italien, in einer engen Wohnung servieren.

Zweitens, es müssen nicht immer überlieferte Regelungen sein, die die Gestalt und den Vorgang einer Teezeremonie bestimmen. Wir benötigen moderne Lösungen für unsere Welt. Wir können zum Beispiel in einem engen Wohnraum auf einem Stuhl sitzen, auf dem Tisch ein weisser Krokus und an der Wand eine Lithographie von Miro, genüsslich an einer Tasse Tee nippen und ein gemeinsames Gespräch mit unserem Gastgeber führen.

Man kann neue Ideen einführen. Zum Beispiel, jeder darf ein einzelnes Gefäss zu einem bestimmten Thema des Tages, nach Absprache, mitbringen. Abendrot im Herbst, Schneekälte am Wintermorgen Duft des Kuchenbackens an Ostern oder Vogelgesang im Sommer. Freunde können die Rolle des Gastgebers teilen, Einer möchte seine Idee des Blumenarrangements zeigen. Eine andere will einen Teil ihres Porzellans von denGrosseltern vorführen, der dritte bringt eine neue Duftmischung von Gewürzen aus Marokko mit. Jeder kann dazu eine individuelle Geschichte aufzeigen und erzählen und Elemente zusammenfügen.

Quelle: www.swissfamily.ch